Perspektiven auf das Lebensende

In der Auseinandersetzung mit der Lebenssituation und dem Gesundheitszustand hochaltriger Menschen in Österreich stellt die Perspektive auf die letzte Lebensphase, das Sterben, einen wichtigen, integralen Bestandteil dar. Es ist ein Charakteristikum moderner Gesellschaften, dass das Sterben zu einem Thema der alten, vor allem der hochaltrigen Menschen geworden ist. Unter den 79.500 Todesfällen im Jahr 2013 waren knapp 66,4% mindestens 75 Jahre alt, 39% waren sogar 85 Jahre und älter. Das hohe Alter wird damit zu einer Lebensphase, in der man besonders häufig mit Sterben und Tod konfrontiert wird. Einerseits verdichtet die Situation, dass Bekannte, FreundInnen oder auch der Partner/die Partnerin bereits verstorben sind, während man selbst noch lebt, Prozesse des Abschiednehmens in besonderer Weise. Andererseits bedeutet dies auch immer die Konfrontation mit dem eigenen Lebensende, das unaufhaltsam näher rückt. Sterben und Tod sind auch im hohen Alter, wo dies gemeinhin als „natürlich“ angesehen wird, stets mit existenziellen Fragen verbunden.
Die ÖIHS hat sich daher insbesondere im Rahmen des ergänzenden qualitativen Studienteils auch mit der Frage beschäftigt, wie hochaltrige Menschen über das Lebensende nachdenken und sich damit auseinandersetzen. Die Perspektive auf das Lebensende kommt dabei insbesondere in sehr unterschiedlichen Arten und Weisen zum Ausdruck, wie (und ob) hochaltrige Menschen auf ihre Zukunft Bezug nehmen.

Keine Erwartungen mehr
Generell lässt sich in den geführten Gesprächen mit Hochaltrigen eine starke Reserviertheit gegenüber dem Begriff „Zukunft“ feststellen. Für viele der befragten hochaltrigen Frauen und Männer stellt sich die Frage nach der weitläufigen Zukunft nicht mehr, da sie der Ansicht sind, „nicht mehr viel Zukunft“ bzw. „keine so große Lebenserwartung mehr“ zu haben. Menschen mit dieser Haltung stellen keine Planungen mehr an, sie lehnen Veränderungen in ihrem Umfeld und Leben ab, mit dem Argument, dass es sich nicht mehr lohnen würde. In dieser Haltung kommt einerseits eine Müdigkeit zum Ausdruck: Der Aufwand von Veränderungen oder z.B. des Anschaffens neuer Dinge kostet auch Kraft und Energie, die fehlt. Es ist aber auch Ausdruck einer bestimmten Werthaltung. Angesichts der noch verbleibenden „wenigen“ Zeit relativiert sich die Bedeutung solcher Dinge und eine Abschiedlichkeit in der Lebenseinstellung wird sichtbar.
Die einzigen konkret formulierten Erwartungen bzw. Wünsche, die von diesen Menschen geäußert werden, sind der Wunsch nach einem schnellen, schmerzlosen Tod und das am besten im eigenen Zuhause. Hierfür steht stellvertretend das folgende Zitat:

„Ich habe nicht mehr viel Zukunft. Ich bin froh, wenn es mir so gut weiter geht, bis ich die Augen schließen kann. Ich wünsche mir einen schnellen Tod. Ich fürchte mich vor dem Dahinleiden, das ist alles. Ich wünsche mir nur schnell zu gehen und nicht herum zu liegen. […] Am liebsten heute tot umfallen. Das macht mir nichts.“ (81-jährige Teilnehmerin)

Noch etwas erleben – noch etwas tun
Positive Äußerungen über die Zukunft stellen in den Interviews mit Hochaltrigen also eher die Ausnahme dar als die Regel. Ein unbeschwertes Pläne-Schmieden findet sich allerdings auch bei solchen Personen nicht, die dem Konzept „Zukunft“ nicht völlig reserviert gegenüber stehen. Vielmehr kommt die Strategie zum Ausdruck, dass Pläne und Vorhaben an den Gesundheitszustand angepasst werden, wie etwa im folgenden Zitat:

„Was hat ein fast 84-jähriger für eine Zukunft? So gut wie möglich über die Runden kommen, bis es so weit ist zum Abtreten. Pläne, kleine, meine Urlaubsfahrten, was ich noch hab, das sind auch so kleine Sachen halt noch. Das sind die Pläne, was ich noch hab.“ (83-jähriger Teilnehmer)

Vielfach kommt nach wie vor große Interessiertheit und Freude am Leben zum Ausdruck, auch wenn darüber auch deutlich wird, was „nicht mehr“ möglich ist.

Eine andere Dimension von Erwartungen an die Zukunft beinhaltet keine konkreten Pläne, sondern vielmehr Sehnsüchte oder Wünsche danach, etwas noch erleben zu können. Sehr berührend ist das Zitat einer Interviewpartnerin, die sich nochmals nach dem Gefühl des Verliebtseins sehnt:

„Einmal möchte ich noch einen Liebesbrief bekommen, dass ich so aufgeregt wäre wie ich damals war, wie es einmal einen Liebesbrief gegeben hat, das ist schon lange her. Aber diese wahnsinnige Aufregung, die fehlt mir.“ (80-jährige Teilnehmerin)

100 Jahre alt werden?
Weiter konkretisiert sich die Perspektive auf die Zukunft und das Lebensende in der Frage, ob sich die TeilnehmerInnen vorstellen könnten, 100 Jahre alt zu werden. Einem Kokettieren damit, möglicherweise gar 100 Jahre alt zu werden, verwehrten sich die meisten der TeilnehmerInnen ganz heftig und vehement. Von einer Person wurde dies gar als Strafe Gottes angesehen, wie folgender Interviewausschnitt veranschaulicht:

„Gott bewahre mich. Ich bete zu Gott, dass er mich nicht so alt werden lässt. […] Wirklich wahr. Ich bete zu Gott, lass mich schnell sterben. Mir ist es egal, jede Sekunde. […] Wenn der Herrgott mich strafen will, dann tut er das. […] Indem er mich noch älter werden lässt, als ich schon bin.“ (81-jährige Teilnehmerin)

Das Erreichen eines solch hohen Alters wird als „gar nicht so erstrebenswert“ angesehen, zumal es mit zunehmender Gebrechlichkeit und Pflegebedürftigkeit in Verbindung gebracht wird. Ein anderes Argument gegen das Erleben des 100. Geburtstags bezieht sich schließlich auch darauf, dass viele, mit denen man diesen Tag entsprechend feiern wollte, bereits nicht mehr am Leben sein würden.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Sorgen und Zukunftsängste hochaltriger Menschen sich nicht so sehr auf das Lebensende und den eigenen Tod beziehen, als auf nahestehende Menschen, z.B. die Zukunft der Kinder und Enkelkinder, den hinterbliebenen Ehepartner bzw. die Frage was mit einem passiert, wenn der Ehepartner zuerst verstirbt. Auch existentielle und gesundheitliche Sorgen beschäftigen die hochaltrigen Menschen stetig (→ siehe auch Wünsche und Sorgen).

Groß ist auch die Sorge vor zunehmender Hilfe- und Pflegedürftigkeit. Der Wunsch schnell, schmerzlos und am besten im eigenen Zuhause zu sterben steht im Mittelpunkt und ist auch mit der großen Sorge vor längerer Pflegebedürftigkeit, die mit einem Leiden in Verbindung gebracht wird, zu sehen.
Bemerkenswert ist, dass die untersuchten Hochaltrigen diesbezüglich kaum Vorsorgemaßnahmen ergreifen. Vorsorge zu treffen, das erfolgt eher in Hinblick auf die Hinterlassenschaft oder der Absicherung von nahestehenden Menschen. Nicht aber in Bezug auf das eigene Lebensende, z.B. in Form einer Patientenverfügung. Dies überrascht, zumal die Sorge nicht sterben zu dürfen die befragten Menschen durchaus beschäftigt. Von einem aktiven Gestalten des Lebensendes erscheint diese Kohorte jedenfalls noch weit entfernt.

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